In diesem Blogbeitrag möchte ich einige Gedanken zum Thema Emotionen äußern. Ich will über die Rationalität bzw. Irrationalität von Emotionen philosophieren und die Frage beantworten, ob rationale Entscheidungen überhaupt möglich sind. Dazu gehört die Frage nach der Rolle von Emotionen bei Entscheidungen. Des Weiteren werde ich genauer auf die Rolle von Emotionen eingehen. An Ende werde ich noch meine Erfahrungen mit der Veränderbarkeit von Emotionen und dem Zusammenhang von rationalem Denken und Emotionalität aufgreifen.
Sind rationale Entscheidungen überhaupt möglich?
Häufig sprechen wir im Zusammenhang von Entscheidungen von rationalen oder, im Gegensatz dazu, von irrationalen Entscheidungen. Rationale Entscheidungen basieren dabei auf Faktenwissen, wir setzen sie gleich mit dem gründlichen Abwägen von Pros und Contras. Emotionen sollen wir kaum eine Rolle spielen. Emotionale Entscheidungen sind eher bauchgeleitet und emotionsgetrieben, man denkt dabei an Menschen, die den logischen Verstand ausschalten. Bemerkenswert bei dieser Unterscheidung ist dabei, dass in unserer Kultur rationale Entscheidungen extrem positiv beurteilt werden, während emotionale Entscheidungen meist sehr kritisch gesehen und abgewertet werden.
Dieses schwarz-weiß-Denken kann man aber durchaus hinterfragen. Denn auch beim Erstellen einer Pro-/Contra-Liste müssen wir zuerst einmal entscheiden, auf welche Seite der Liste eine Konsequenz unserer Entscheidung überhaupt kommt! Um dies leisten zu können, müssen wir alle möglichen Konsequenzen innerlich bewerten und auf unsere individuelle Relevanz überprüfen. Dies geschieht mit Hilfe von Emotionen. Beim Gedanken an einige mögliche Konsequenzen empfinden wir vielleicht innerlich Freude, also werden wir diesen Punkt eher der Pro-Seite zuordnen. Andere Konsequenzen lösen in uns eher Stress oder Angst aus, diese würden wir natürlich der Contra-Seite zuordnen. Wieder andere Folgen der Entscheidung lösen in uns keinerlei Reaktionen aus, weder positive noch negative, also würden sie auf der Liste gar nicht erscheinen. Am Ende entscheiden wir uns für diejenige Seite der Liste, welche bei uns die stärkeren positiven (oder weniger starken negativen!) Emotionen auslöst
Wie Sie sehen, ist selbst das Erstellen eine Pro-/Contra-Liste zur Entscheidungsfindung hochgradig emotional, sondern hochgradig abhängig von Emotionen!
Schon der schottische Philosoph David Hume (1711–1776) ging davon aus, dass wir nicht aufgrund von rationalen Gründen handeln. Aus seiner Sicht tun wir Dinge, weil wir dazu ein Handlungsmotiv haben, welches wiederum aus einem Gefühl besteht. Die Vernunft und der rationale Verstand helfen uns dann dabei, dieses nicht-rationale Handlungsmotiv möglichst gut in die Tat umzusetzen.
Der Fall Elliot
Bei manchen Menschen werden in Folge eines Unfalls oder einer Erkrankung Teile des Gehirns zerstört. Ein solcher historischer Fall ist der Patient mit dem Pseudonym “Elliot”, welcher 1997 von dem portugiesischen Neurowissenschaftler Damasio untersucht wurde. Der Spiegel schrieb damals:
»Mit unbewegter Miene erzählt Elliot, was alles geschah, als er den Anstand verlor. Weil er seine Arbeit als Rechnungsprüfer nicht mehr wie vereinbart erledigte, wurde er entlassen. Weil er seine Frau nicht mehr respektierte, rannte diese entnervt davon. Weil er den beiden Kindern keine Anteilnahme mehr schenkte, brachen die den Kontakt ab. Und weil er sich mit windigen Geschäftsleuten einließ, hat er sein Vermögen verloren. Heute lebt Elliot, Mitte fünfzig, von staatlicher Beihilfe. Er riecht. Er sieht verwahrlost aus. Einsam und traurig fühlt er sich trotzdem nicht. Elliots Verwandlung geht zurück auf einen Tumor, der vor zwanzig Jahren in seinem Gehirn zu wuchern begann. Die Geschwulst machte sich bemerkbar, als sie so groß wie eine Kinderfaust war. Sie drückte gegen den rechten und linken Stirnlappen und zerstörte dort Nervengewebe. In einer Operation wurden der Tumor und die abgestorbenen Areale entfernt. Intelligenz und Gedächtnis blieben erhalten, aber ansonsten ist Elliot ein anderer. Sein eigenes Schicksal lässt ihn kalt, denn er fühlt es nicht« (Der Spiegel, 2007, S. 108f.).
Damasio untersuchte diesen Mann für ein Gutachten gründlich mit allen möglichen Persönlichkeits- und Leistungstests. In allen Fällen schnitt Elliot durchschnittlich bis überdurchschnittlich ab. Auffällig an ihm war jedoch, dass er unfähig war, seine Handlungen zu planen. Er konnte zwar die Konsequenzen von Handlungen durchdenken, jedoch wusste er dann immer noch nicht, was er tun sollte!
Was war also das Problem bei Elliot?
Er hatte Schäden im Frontalhirn, welches dafür zuständig ist, dass wir Handlungen emotional bewerten können. In diesem Teil des Gehirns werden Erinnerungen an Erfahrungen mit Emotionen verbunden. Diese Verknüpfung von Erfahrungen aus Handlungen und zugehörigen Emotionen ist natürlich auch maßgeblich daran beteiligt, zukünftige Handlungen und Erlebnisse ähnlicher Art zu beurteilen. Damasio nannte diese Art der emotionalen und physiologischen Bewertung von Handlungen “somatische Marker”.
Es gibt sogar ein psychologisches Testverfahren namens Iowa Gambling Task (IGT), mit welchem sich Schäden im Frontalhirn (genauer: orbitofrontaler Kortex) feststellen lassen. Bei diesem Test werden dem Spieler 4 Stapel von Karten vorgelegt. Bei jedem Ziehen einer Karte erhalten sie entweder einen Gewinn oder einen Verlust. Die Karten sind so aufgeteilt, dass die Stapel A und B sowohl hohe Gewinne, aber auch hohe Verluste enthalten. Die Stapel C und D enthalten demgegenüber niedrigere Gewinne, aber auch niedrigere Verluste. Kurz gesagt: A und B waren riskantere Stapel als C und D. Zudem war ein Merkmal der Karten, dass langfristig A und B zu Verlust führten, C und D jedoch zu Gewinnen.
Die meisten gesunden Spieler erkennen nach weniger als 50 Durchgängen, welche Stapel die riskanten sind und vermeiden das Ziehen der Karten dieser Stapel. Menschen mit Schäden im orbitofrontalen Kortex (wie es bei Elliot der Fall war) ziehen selbst dann noch von den Stapeln A und B, wenn sie bereits erkannt haben, dass diese Stapel hochriskant sind. Der Mangel an Emotionen lässt diese Menschen also irrational handeln.
Emotionen als Signal von Bedürfnissen
Wozu haben wir Menschen eigentlich Emotionen? Warum brauchen wir Gefühle wie Angst, Freude, Traurigkeit, emotionalen Schmerz, Glück, Scham, etc.? Emotionen keine spezifisch menschliche Eigenschaft, sondern sie sind auch bei Tieren vorhanden. Emotionen sind Signale von Bedürfnissen und veranlassen uns so zu Handlungen, die diese Bedürfnisse befriedigen sollen! Unser Körper zeigt uns beispielsweise über Emotionen wie Angst an, dass wir ein Bedürfnis nach mehr Schutz haben. Das ist eine absolut überlebensnotwendige Funktion, denn dadurch vermeiden wir riskantes Verhalten, welches uns potentiell schädigt oder gar tötet. Trauer zeigt uns den Verlust einer Beziehung beziehungsweise das Bedürfnis der Nähe zu dieser Person. Scham zeigt uns, dass wir uns verletzlich fühlen und das Bedürfnis nach mehr Intimität haben. Freude und Glück auf der anderen Seite signalisieren uns, dass unsere Bedürfnisse befriedigt sind.
Disfunktionale Emotionen
Problematisch werden Emotionen dann, wenn wenn sie in Art und Intensität nicht zur aktuellen Situation passen oder und somit disfunktional wirken. Das wäre zum Beispiel bei einem Manager der Fall, der sich vor seinen Mitarbeitern klein und hilflos fühlt und der deshalb wichtigen Funktionen seines Amtes nicht nachkommen kann oder der sich dadurch extrem angespannt fühlt auf Arbeit. Oder bei Menschen mit einer ausgeprägten Angst vor Spinnen oder Ratten, welche sich in ihrem Leben stark eingeschränkt fühlen. Oder bei Menschen mit einer sozialen Phobie, oder bei extrem ausgeprägten Trauerverläufen, etc. Es gibt unzählige Beispiele von disfunktionalen und inadäquaten Gefühlen.
Sehr häufig sind solche Emotionen aus alten, wenn nicht kindlichen, Lernerfahrungen erklärbar. Diese alten Erfahrungen mitsamt der zugehörigen Emotionen werden im Unterbewusstsein gespeichert und danach immer wieder verwendet, um ähnliche Situationen zu beurteilen. Allerdings kann es natürlich durchaus problematisch werden, wenn frühkindliche Erfahrungen mit den Eltern verwendet werden, um Erleben im Erwachsenenalter zu beurteilen. Eine Therapie kann hier helfen, 1) kindliche Interaktionsmuster und Emotionen aus alten Lernerfahrungen aufzudecken und zu verändern oder 2) disfunktionale Emotionen aus aktuellen Situationen direkt zu verändern. In den von mir angewandten Therapiemethoden würde ersteres eher in den Bereich der Traumatherapie oder, häufig weniger extrem, in der innere-Kind-Arbeit der Hypnotherapie fallen, während zweiteres eher in den Bereich der Ressourcenstärkung fällt.
Häufig gehen mit disfunktionalen Emotionen auch unrealistische Glaubenssätze einher. Um bei dem Manager zu bleiben: Er könnte denken “Ich bin minderwertig” oder “Meine Mitarbeiter sind gefährlich” oder “Ich bin nicht gut genug”. Oder einfach “Ich bin kein guter Chef”. Wenn die zugehörigen disfunktionalen Emotionen aufgelöst werden, dann verändern sich proportional dazu sehr häufig auch die Kognitionen und Glaubenssätze. Mit anderen Worten: Je weniger der Manager in dem Prozess die Angst vor den Mitarbeitern spürt, desto weniger würde er vermutlich glauben, dass dass er minderwertig ist oder ein schlechter Chef ist. Es würden sich bei ihm mehr “rationale” und situationsadäquate Gedanken einstellen wie “Ich bin ein erwachsener Mensch, und ich bin der Chef in dem Unternehmen. Ich kann mindestens auf Augenhöhe mit ihnen sprechen!”.